• W
    williwu

    @zerschmetterling sagte in Novelle oder Roman?:

    Ich danke euch für eure Antworten! Es ist tatsächlich gar nicht so leicht, mit diesem Thema umzugehen, da gerade Novellen einen schlechten Ruf zu haben scheinen.

    Meinst du jetzt, bei Verlegern für die Veröffentlichung oder als literarische Gattung? Verleger haben da wohl wirklich Probleme, da der Umfang eben der eines leidlich dünnen Reclam-Heftes ist und die Erzählform einigermaßen altbacken wirkt, aber als Literaturgattung sehe ich Storm und Co. immer noch hoch im Kurs.

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  • W
    williwu

    Für mich kommt es immer darauf an. Bei einer Kurzgeschichte mit Hauptaugenmerk auf der Entwicklung des Protagonisten brauche ich natürlich nicht viel zu recherchieren, ich “erfinde” ein kleines Setting, meistens aus einem Umfeld, das so sein kann, wie ich es benötige. Eine Familie kann so und so sein, diese und jene Regeln haben, das muss ich nicht recherchieren. Wenn diese Familie zu den Zeugen Jehovas gehört, dann sieht das anders aus. Wenn ein Familienmitglied das Down-Syndrom hat, dann kann ich das Verhalten eines solchen Menschen nicht erst erfinden, um es dann mit der Realität abzugleichen.
    Wenn ich etwas Historisches schreibe, dann muss ich natürlich vorab recherchieren wie doll, nicht nur, um das Setting einigermaßen genau zu beschreiben, das finde ich fast sekundär wichtig. Aber die Menschen waren zu jeder Zeit anders, im Mittelalter fromm und konformistisch, in der Nazizeit haben die Dinge hingenommen, die heutzutage einfach unbeschreiblich sind, aber auch nur 50 oder 60 Jahre zurück war die Denke eine ganz andere als heute (nur mal so als Anregung für die Damen: Habt ihr noch Knicksen gelernt? Meine Klassenkameradinnen in der Schule schon). Um so mehr ich mir bewusst bin, dass jeder Leser die Geschichte mit seinem aktuellen Hintergrund antizipiert, um so mehr muss ich akkurat sein in der Charakterbeschreibung. Es ist natürlich nur gut, wenn man heute “schrecklich” sagt, wenn man über, keine Ahnung, die Hexenverbrennungen oder Konzentrationslager liest, aber wer garantiert mir, dass ich und meine Leser damals genau so darüber gedacht hätten, wie wir alle es hoffentlich heute tun?
    Und wenn dann in einem historischen Film über eine Hebamme, handelnd im 16. Jahrhundert, jemand “okay” sagt, dann ist für den Faux-Pas nicht mal Recherche nötig, aber für viele andere nicht so offensichtliche Dinge dann eben doch.
    Ich schreibe gerade etwas, das in den 50ern handelt. Da musste ich dann berücksichtigen, dass damals der Schuljahreswechsel zu Ostern stattfand, auf höheren Schulen Mädchen und Jungen üblicherweise nicht zusammen unterrichtet wurden, wie das mit dem privaten Telefon funktionierte. Alles das musste ich vorher wissen, weil es in die Handlung einfließt. Aber ich musste es vorher wissen ohne zu wissen, dass ich es wissen muss.
    Also macht es für mich Sinn, zu den Themenbereichen viel und ergebnisoffen zu recherchieren. Oder ich muss, wenn ich mit dem Recherchieren erst anfange, nachdem ich schon darüber geschrieben habe, meine ganze Geschichte und ggf. den Plot ändern.

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  • W
    williwu

    Eigentlich kann das nicht passieren, wenn ich vorher weiß, wohin ich mit meiner Geschichte will und den Charakter erschaffe, bevor ich mit dem Schreiben anfange. Natürlich kann das trotzdem passieren, wenn man etwa ein Erlebnis beschreiben will, dass man selbst erfahren hat oder in das man sich hineinversetzen kann, ohne allzu viel über die Umstände und die Beteiligten zu wissen. Das ist dann ja auch okay.
    Es gibt gute Gründe, den Protagonisten und sich selbst auseinanderzuhalten.

    • Genrespezifisch: Wenn man einen hartgesottenen Detektiv beschreibt, dann kann das kaum eine Kopie des Autors sein. Der muss nun mal zynisch sein, das Gesetz - das wir Autoren natürlich alle befolgen - einen netten Vorschlag sein lassen und sich in Gesellschaft herumtreiben, die zB ich nicht kennen lernen möchte - ohne Gitter dazwischen. Und in einem historischen Roman würde ich so eine Zwillingsbeziehung fast schon als Sakrileg ansehen, denn niemand kann heute noch annähernd so denken und handeln, wie die Menschen im Mittelalter, in der Renaissance, im Kaiserreich oder in der Nazizeit.
    • Vermeidung von Langeweile: Wenn ich die Charaktere beim Schreiben sich entwickeln lasse, wie sie wollen, dann besteht die Gefahr, dass der Protagonist sich immer in die gleiche Richtung entwickelt. Und dann werden sich alle meine Ergüsse stilistisch oder im gleichen Genre ähnlich darstellen, und einer klingt wie der andere. Und das haben ja schon viele Autoren gesagt: Man kann als Autor nur eines falsch machen: Den Leser langweilen.

    Ich kann natürlich nur für mich sprechen und erhebe nicht den Anspruch, dass das der einzige oder richtigste oder beste Weg ist. Aber egal, was ich schreibe, über den Inhalt und das Ziel habe ich doch vorher nachgedacht und weiß in etwa den Rahmen. Warum dann nicht auch das Personal vorher bestimmen? Und ihm Haken und Ösen mitgeben, auch unsymphatische, auch besondere (Un-)fähigkeiten. Es sich erst einmal vorstellen, äußerlich, ihm dann einen Lebenslauf geben, seine Familie festlegen, Ereignisse aus seinem Leben kreieren und ihn daran werden lassen. Er soll Erfolge gehabt haben, aber auch schon bös gescheitert sein. Passt das eine oder andere in die Handlungsskizze? Um so besser, dann wird eine runde Geschichte daraus. Dann kann ich ihn in der Handlung so agieren und reagieren lassen, wie er und nicht ich es tun würde.
    Es gibt ja Leute, die ihre Charaktere erst in der Geschichte entwickeln, andere lassen ihre ausgefeilten Charaktere auf ein weißes Blatt los und schauen, was passiert, daraus mag sich eine Handlung ergeben. Keine Charaktere auf ein weißes Blatt zu schicken, wird wahrscheinlich schiefgehen. Und Bekannte (also fikive) in ein festes Setting senden, das ist meine Methode, ist wie bereits bekannte Erlebnisse aufschreiben. Kreativität ist ja nicht nur die Handlung, sondern auch die Figurenentwicklung. Aber wer sagt, dass die Kreativität erst beim Schreiben einsetzt? Ich - noch mal, meine persönliche Meinung - denke, dass man vor dem Schreiben kreativ sein muss, und dass das Schreiben dann nur noch eine Art Berichterstattung ist. Und ja, für mich sind die Charaktere eine Art Personal, das ich mir zwar aussuche, dann aber nicht mehr forme oder angleiche, sondern damit umgehe.

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  • W
    williwu

    Hallo Daya,
    ich bin auch noch ganz neu hier, und so einfach ist das Durchsteigen durch das Forum auch für mich nicht. Such dir einfach aus, was für dich passt. Was ich aber schon sagen kann: Hier sind alle freundlich und hilfreich. Und Ermunterung gibt es allenthalben, deshalb schon mal hier von mir: Mach einfach weiter mit dem Schreiben, kauf dir einen guten Schreibratgeber und überwinde dich, mal ehrlichen Kritikern deine Texte zu zeigen.
    Also viel Spaß und Erkenntnisse hier im Forum.

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  • W
    williwu

    Ich mag die Mischung von Alltagsszene mit handlungsrelevanten Zugaben. Wenn einer was kocht, dann finde ich es immer wieder schön zu lesen, wie etwas Wein dazugegeben, wie ein Brühwürfel in das Gemüse gebröselt wird und so weiter. Aber nicht, wenn das losgelöst ist vom Thema der Geschichte. Also kann bei dieser Beschreibung gleichzeitig ein Dialog stattfinden oder das Kochen ist Bestandteil einer heimlichen Beobachtung, und zeitgleich wird erzählt, wie jemand im Vorratsschrank eingequetscht ist und versucht, das Niesen zu verhindern und hofft, dass keine Zutat benötigt wird, die gerade in diesem Schrank ist.
    Wenn ich nur die Kochszene etwa in einem Krimi hätte, dann fragte ich mich, ob ein Kochbuch nicht spannender wäre.
    Es mag ja sinnvoll sein, solche Szenen zu schreiben, um den Protagonisten besser kennenzulernen oder sich an ihm (Bewegungen, Eigenarten - etwa zu pfeifen, wenn er kocht) abzuüben, aber der Leser muss meines Erachtens nicht alles lesen, was der Autor aus diversen Gründen schreibt. Und der Leser muss ja auch nicht alle Erfahrungen des Autors mit- oder nachmachen. Um die Charakterentwicklung muss sich der Autor kümmern, nicht der Leser, der will einen fertigen Charakter sehen.

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  • W
    williwu

    Ich finde die Unterscheidung Roman und Novelle schwierig. Es allein vom Umfang abhängig zu machen, greift meines Erachtens viel zu kurz. Es gibt ja gerade im Jugendbuchbereich sehr kurze Romane, um den heutigen Lesegewohnheiten (oder soll ich böse sein und “-fähigkeiten” sagen?) entgegen zu kommen. Eine Kurzgeschichte ist ja auch nicht nur deshalb eine Kurzgeschichte, weil sie kurz ist. Am Problematischsten ist für mich die Einordnung einer Geschichte als Erzählung. Begrifflich trifft das doch auf alles zu, oder?
    Um Novelle und Roman zu unterscheiden, muss man von beiden Literaturformen einige gelesen haben. Als Schleswig-Holsteiner habe ich natürlich viel von Theodor Storm gelesen. Ich denke, die meisten von uns kennen die Judenbuche (und wenn nicht, dann nachholen).
    Ich würde zur Unterscheidung vor allem drei Merkmale heranziehen:

    1. Erzählstil: Der Roman ist viel szenischer und dialogfreudiger, die Novelle folgt eine narrativen Erzählstil. Auf den Punkt gebracht würde ich sagen: In einem Roman wird ständig beschrieben, was die Leute tun, in der Novelle, wie und wo und wer sie sind und was ihnen geschieht und warum das. Im Roman gibt es eher persönliche Erzählperspektiven, in der Novelle eher auktoriale bis hin zum allwissenden Erzähler.

    2. Zeiträume: Romane können sehr dick sein, mehrere hundert Seiten sind oft üblich (je weniger die Leute lesen, desto mehr muten die Autoren ihren verbliebenen Lesern zu). Dennoch beschreiben sie punktuelle Ereignisse, der Zeitraum der Handlung der einzelnen Erzählstränge kann im Vergleich zu einer Lebensdauer ziemlich kurz sein, oft ist es nur einer. Unterschiedliche Zeiträume werden durch kurze Sprünge überbrückt.
      In Novellen gibt es einen Erzählstrang, der stetig über einen langen Zeitraum geht. Lediglich entwicklungsrelevante Ereignisse werden ausführlicher beschrieben. Manchmal handelt es sich um Erzählungen, die bei der Geburt des Protagonisten beginnen und erst mit seine Tod enden.
      Werden erzählerische Lücken im Roman eher durch Rückblenden oder in Dialogen gestopft, ist der Verlauf einer Novell eher streng chronologisch.

    3. Handlung, Thema: Der Roman kann vom Kleinen auf das Große schließen lassen, durch seine Beschreibungen Kontext, Epochen, Lebenssituationen, Konflikte darstellen. Die Szenen sind zwangsläufig durch die Umstände bestimmt oder auch begrenzt.
      Die Novelle beschreibt ein Ereignis, das einem akzeptierten Kontext heraussticht. Alle Welt akzeptiert an der Küste, dass es durch Gott gelenktes Schicksal ist, wenn der Deich bricht, nur nicht Hauke Haien. Und obwohl er Recht hat, scheitert er (geschieht häufig in der Novelle, der Protagonist scheitert oder verändert zumindest nichts). In “Aquis Submersus” kann die Liebe zwischen einem aus kleinen Verhältnissen stammenden Malers und der Tochter eines Landjunkers nicht erfüllt werden und endet dramatisch. “Pole Poppenspäler” erlebt als Kind einer erste, zarte Liebe und glückliche Tage mit dem Puppentheater, aber naturgemäß müssen die weiterziehen und er bleibt in seinem vorbestimmten(?) Leben.

    Sicher gibt es wissenschaftliche Aufsätze, die das Thema besser und richtiger behandeln als meine Beobachtungen, aber ich glaube zumindest, der Versuch, etwas als Novelle oder Roman nur anhand der Menge der Anschläge einzustufen und gar aus einer Novelle einen Roman zu machen, indem man etwas dazu schreibt, muss schiefgehen.
    Es sind eben unterschiedliche Literaturformen. Ich denke, man sollte sich darüber, ob etwas Novelle oder Roman werden soll, vor dem Beginn des Schreibens klar sein. Ich glaube auch, die Novelle ist die weit schwierigere Form mit höherem Potenzial zu scheitern.
    Edit: Ich habe noch mal nachgeschaut: Erzählung und Roman unterscheiden sich durch Umfang und Komplexität. Wenn man also eine mengenmäßige Unterscheidung treffen möchte, dann eben diese. Man könnte sagen, die gekürzten Readers-Digest-Zusammenfassungen von Romanen sind Erzählungen. Erzählung und Novelle unterscheiden sich in dem künstlerischen Anspruch, der an die Novelle gestellt wird. Novelle ist eben eine ganz eigene Form, die nicht zufällig entsteht, weil einem für einen dickeren Roman der Stoff fehlt.

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